München · Da schau her! Albrecht Ackerland über Wissensdurst

Ich habe immer davon geträumt, das Wissen meines Großvaters anzuzapfen. Der Mann war Alpinist, kannte jeden Berg in den Alpen. Jeden kleinen Buckel wusste er noch auf einem verwackelten Foto zu erkennen. Sagenhaft war das. An der Uni kannte ich Professoren, die konnten locker und textsicher aus jedem erdenklichen Werk eines Philosophen zitieren, diese Menschen machten Archive beinahe überflüssig.

Was wäre es für ein Fest, all das ohne eigenes Zutun selbst zu können! Es lässt sich auch ganz gut ohne eine derartige Datenansammlung im Hirn leben, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber ein wenig traurig macht es mich schon, dass ich noch nicht mal den Wendelstein von der Kampenwand unterscheiden kann.

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Wie schön wäre es doch gewesen, sich anzustöpseln am Hirn des anderen und alles ins eigene Gedächtnis zu laden, was einem halbwegs wertvoll erscheint. Diese Gedanken hatte ich schon, da ahnte noch keiner, wie viel Daten wir einst speichern werden können, und wie schnell und einfach und günstig sich darauf zugreifen lässt – so wie wir das heute mit schwindelerregend großen Festplatten zum Preis eines Schweinebratens erleben.

Freilich ist es besser, dass es am Hinterkopf der Menschen noch keinen Anschluss gibt. Wenn ich nur daran denke, was verbrecherische Diktaturen oder auch nur gewöhnliche Geheimdienste oder sonstige Ganoven damit anrichten könnten, mir wird ganz Angst und Bange.

Also doch selbst lesen. Wenn es nur so einfach wäre. Ich würde ja gern, das beweist die Meterware an Buchrücken in meinem Regal: Seit man nicht mehr in Buchläden gehen muss, um dort etwas zu suchen, das dann doch erst bestellt werden musste – seit dem biegen sich meine Regalbretter. Bei Händlern im Internet findet man alles, am nächsten Tag bringt es die Post, und das Geldausgeben fällt einem auch gleich viel leichter, wenn man nur Klickklick machen muss.

So eine Buchbestellung besänftigt immer auch das schlechte Gewissen, dass man ja eigentlich viel zu wenig weiß: Schließlich könnte man dies und jenes ja sofort lesen, steht ja im Regal. Neben hundertfünfundachtzig anderen jungfräulichen Büchern.

Hilfe, ich komme einfach nicht zum lesen! Wie schön müssen es da jene Schnellleser haben, Menschen, die ohne Training fünf Zeilen auf einmal in sich saugen können. Und das: ist schon die nächste Ausflucht. Selbst wenn ich eine ganze Seite mit einem kurzen Blick aufnehmen könnte, ich müsste es ja doch erst tun. Vielleicht wären solche Steckdosen an ausgewählten Hirnen doch nicht so verkehrt.

Artikel vom 21.01.2010
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