Tierschutz ist hierzulande keine dankbare Aufgabe

München · Ein Heim für Tiere

Nadine Meixner von der Tierheimverwaltung mit Labrador-Mix Buddy – ein Dream-Team. Aber den beiden ist bei Weitem nicht immer zum Lachen zumute.	Foto: cr

Nadine Meixner von der Tierheimverwaltung mit Labrador-Mix Buddy – ein Dream-Team. Aber den beiden ist bei Weitem nicht immer zum Lachen zumute. Foto: cr

München · Es ist ein nahezu aussichtsloser Kampf, den die etwa 70 Tierpfleger und 30 Mitarbeiter des Tierschutzvereins München im Tierheim jeden Tag aufs Neue kämpfen.

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Die Zahl der pflegebedürftigen Tiere wird nicht kleiner, das Tierheim, das am vergangenen Wochenende sein 60-jähriges Bestehen vorgefeiert hat (eröffnet wurde das Tierheim an der Riemer Straße am 1. Dezember 1956), ist weitgehend ausgelastet. Dazu kommt, dass der Hundetrakt und die Hundequarantänestation erneuert werden müssen.

Neben dem Tierleid sind die Mitarbeiter auch immer mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Das betrifft sie selbst, ganz persönlich, denn Tierpfleger ist ein toller Beruf, der eben ganz viel Idealismus erfordert. Aber reich wird dadurch niemand. Auch der Tierschutzverein als Arbeitgeber nicht, denn die Einnahmenseite ist überschaubar. Von der Stadt München gibt es einen jährlichen Betriebskostenzuschuss von 60 Cent pro Einwohner, aktuell also etwa 900.000 Euro. In Aussicht ist ein zeitlich begrenzter Investitionskostenzuschuss von 40 Cent pro Einwohner, also noch mal jeweils 600.000 Euro für die kommenden vier oder fünf Jahre. Die Entscheidung darüber steht noch aus.

Je mehr Tiere, desto mehr Zuschüsse? Das ist ein verbreitetes Vorurteil

Die Kosten fressen die Einnahmen auf. Hier agiert der Verein ebenso am Limit wie in der täglichen Praxis. Ein banal erscheinendes Beispiel zeigt das: »Wir haben jetzt schon über 100 Igel aufgenommen und die Saison hat noch nicht mal angefangen«, berichtet Judith Brettmeister vom Tierschutzverein. Klingt nicht nach großer Not, aber genau das ist das Problem: Wo fängt die Not genau an? Auch die Igel haben ein Recht auf Leben und so werden einzelne Jungtiere von den Findern ins Tierheim gebracht. Wie auch eine steigende Zahl von Wildkaninchen.

Wurden im Tierheim im Jahr 1970 nur gut 2.000 Tiere versorgt, sind es aktuell über 8.000 – darunter bedauernswerte Geschöpfe wie Hund Hektor, der nachts aufgefunden wurde, angebunden an einen Laternenpfahl. Ihn konnten die Pfleger im Tierheim wieder aufpäppeln und weitervermitteln. Hektor hat sein Glück gefunden, aber das ist eher die Ausnahme. Wer ein Tier aus dem Tierheim aufnehmen möchte, muss sich darüber im Klaren sein, dass das nicht immer einfach wird. Manche Tiere, vor allem Hunde, sind traumatisiert und zeigen Verhaltensstörungen. Auch schrecken viele von den Kosten ab, denn das Tierheim, das in jedes Tier viel Geld investiert, kann diese nicht kostenlos abgeben.

Das Gegenteil davon ist die Praxis im illegalen Welpenhandel, der in Bayern immer weiter zunimmt. Fitgespritzte Tiere, die auf den ersten Blick einen gesunden Eindruck machen, werden nach wenigen Tagen krank und können Tierarztkosten in vierstelliger Höhe verursachen. Ein Tier aus dem Tierheim ist ärztlich betreut und nachweislich gesund.

Trotzdem bleiben manche Tiere bis zu ihrem Tod im Tierheim. Manche sind schlicht nicht mehr vermittelbar. Manche dürfen aber auch nicht vermittelt werden. Sie dürften noch nicht mal im Tierheim sein. So hat Anfang dieser Woche ein Mann versucht, sein Eigentumsrecht an einem Hund durchzusetzen. Er wollte sein Tier aus dem Tierheim abholen, aber weil die Verantwortlichen im Tierheim wussten, dass der Mann ein Suchtproblem hat und dass der Hund mit höchster Wahrscheinlichkeit bald wieder im Tierheim landen würde, wollten sie ihn mit Rücksicht auf das Tier nicht herausgeben. Daraufhin sei der Mann laut geworden und habe die Tierheim-Mitarbeiter bedroht. Die Polizei musste anrücken und die Situation befrieden.

Szenen wie diese und viele weitere sind eine Belastung für die Tierpfleger. Trotzdem machen sie den Job, auch wenn dafür nicht jeder Verständnis aufbringen kann. So gebe es das Vorurteil: »Je mehr Tiere wir im Tierheim haben, desto mehr Geld bekommen wir«, berichtet Brettmeister. Ein Trugschluss, denn die Stadt übernimmt die Kosten für ein Fundtier nur 28 Tage lang. Die meisten Tiere bleiben länger im Tierheim. Die Kosten steigen und da springt niemand mehr ein. Der Tierschutzverein bleibt darauf sitzen.

Daran hat Hofrat Ignaz Perner im Jahr 1842 nicht gedacht, als er eine Art Herrenverein ins Leben rief, den Tierschutzverein München. Ihm ging es dabei um leidende Kutschpferde und die Verhältnisse bei Tierschlachtungen. Perner sah den Umgang mit Tieren als Teil der Charakterbildung an: »Menschlicher Fortschritt heißt Barmherzigkeit gegenüber den Tieren.«

Aus diesen Überlegungen ging 1928 nach jahrelangen Verzögerungen das erste Münchner Tierasyl hervor, damals noch in Karlsfeld. 1956 wurde schließlich der Neubau an der Riemer Straße in Betrieb genommen, seinerzeit ein modernes Tierheim, doch der Zahn der Zeit und neue Erkenntnisse und Standards lassen das Tierheim jeden Tag etwas älter aussehen.

Der Tierschutzverein tut alles dafür, das Tierheim in einem guten Zustand zu erhalten, aber die Möglichkeiten sind begrenzt. »Die Aussichten sind mehr als düster«, meint Judith Brettmeister, ohne jedoch ans Aufgeben zu denken. Mit einer pessimistischen Haltung kommt man in dem Job nicht weit. Aber es wird den idealistischen Tierheim-Mitarbeitern und dem Tierschutzverein so verdammt schwer gemacht.

Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 14.10.2016
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