Ausstellungen stimmen auf Jubiläum ein

München · 200 Jahre Wiesn-Wahnsinn

Recht überschaubar: Das Oktoberfest 1910 (Postkarte) Foto: Münchner Stadtmuseum

Recht überschaubar: Das Oktoberfest 1910 (Postkarte) Foto: Münchner Stadtmuseum

München · Von wegen, die Wiesn ist nur ein Megaspektakel, wo Megamengen Bier, Brezn und Hendl verkonsumiert werden, der Geldbeutel arg strapaziert wird und es nur ums Anbandeln, Abschleppen und Abfeiern geht, bis zum Erbrechen. Gut zwei Monate vorm Anstich ist Gelegenheit, sich dem Phänomen quasi als geistige Einstimmung von der kulturell-kuriosen und auch poetischen Seite zu nähern, mithilfe zweier Ausstellungen, die jetzt starten.

Themenseite zum größten Volksfest der Welt: dem Oktoberfest

„Das Oktoberfest 1810-2010“ heißt es im Stadtmuseum seit diesem Freitag; und literarische Oktoberfestporträts aus zwei Jahrhunderten stehen bei „Vorstadtstenz und Wiesnbraut“ im Literaturarchiv Monacensia ab 14. Juli im Fokus. Das fällt dabei alles andere als trocken aus, sondern sehr unterhaltsam und atmosphärisch. Die wichtigste Erkenntnis: Es war schon alles von fast Anfang an so, zwischen Mythos, Rausch und Geschäftemacherei. Nicht ganz so groß, aber für die damaligen Verhältnisse ein ähnliches Spektakel, das die Massen faszinierte und in den Bann zog. Acht Jahre nach der Kronprinzenhochzeit 1810, die Geburtsststunde des Oktoberfestes, wurden die ersten Kegelbuden, Schaukeln und Karussells errichtet, erfährt man in der Monacensia-Ausstellung, die mit riesigen historischen Fotos, ausgewählten Objekten und Wiesn-Filmen von den Menschen und ihren Gefühlen auf der Wiesn erzählen will, „von der Suche nach Glück, Liebe, Vergessen“, wie Ausstellungsmacherin und Leiterin der Monacensia, Dr. Elisabeth Tworek, erzählt. „Und doch, es geht um mehr als Besäufnis und Biertrinken, auch heute noch“, findet die Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt bayerische Literatur und bekennender Wiesn-Fan, wenn auch der eher geruhsamen, mit historischen Fahrgeschäften wie „Hexenschaukel“ oder an einem Nachmittag am Werktag gegen 16 Uhr im Biergarten, wenn die Sonne schön langsam hinter den Zelten versinkt. Für Tworek einer der bis heute schönsten, ja poetischen Wiesn-Momente.

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Unzählige Autoren haben sich mit dem Phänomen Wiesn über die Jahrhunderte beschäftigt, wie die an sich wenig textlastige Ausstellung zeigt. Thomas Mann spricht etwas pikiert in seinem Roman „Doktor Faustus“ aus den 1940er-Jahren von „der wochenlangen Monstre-Kirmes, wo eine trotzig-fidele Volkhaftigkeit, korrumpiert ja doch längst von modernem Massenbetrieb, ihre Saturnalien feierte.“ Der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe (1900-1938, „Schau heimwärts, Engel“) zettelte gleich selbst eine Bierzeltschlägerei an. Und auch der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy schreibt 1831: „Mein Konzert hat müssen verschoben werden des Oktoberfestes wegen. Wenn ihr diesen Brief empfangen habt, bin ich auf der Theresienwiese mit 80.000 anderen Leuten zusammen.“ Bier gab es erst 1880, sechs Jahre später die erste Bierhalle im heutigen Sinn, von Michael Schottenhamel. Mit der Elektrifizierung der Zelte und Buden gewann das Oktoberfest eine völlig neue Dimension: Aus den hell erleuchteten Zelten, in denen nun auch nach Einbruch der Dunkelheit Bier ausgeschenkt wurde, trat man in die bunte Lichterwelt der sich mit der Zeit immer rascher drehenden Fahrbetriebe. Den Wandel vom bayerischen Nationalfest monarchistischer Prägung zum „größten Bierfest der Welt“ mit bayerischem Image zeigt die Ausstellung im Stadtmuseum auf etwa 1.500 Quadratmetern – anhand diverser Wiesn-Relikte: ob Hochzeitskleid von Prinzessin Therese, die Bierschlegel vom „O’zapft is“, die Guillotine vom Schichtl, der Stand vom Vogel-Jakob, Geisterbahnfiguren, Prominenten-Dirndl, Wiesn-Hits, Utensilien vom „Vorglühen“, die bei Eintritt ins Zelt draußen bleiben mussten oder T-Shirts einer italienischen Männergruppe, direkt im Bierzelt übernommen.

Einen nostalgischen Blick zurück wirft vom 17. September bis zum 4. Oktober auf dem Südteil der Theresienwiese die „Jubiläums-Wiesn“, für die derzeit die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen. Was genau alles passiert, wird erst bei einer Pressekonferenz am kommenden Dienstag, 13. Juli, vor. „Bis dahin herrscht absolute Schweigepflicht“, erklärt Elisabeth Tworek. Soviel sei verraten: Neben drei bayerisch-sächsischen Paaren, die OB Ude in Erinnerung an die Ursprünge des Oktoberfestes trauen wird, gestalten die Monacensia und Fraunhofer-Wirtshaus das Programm im Herzkasperl-Zelt, mit Literatur, (Kasperl-)Theater, Kabarett und junger Volksmusik – „ein Wiesn-Zelt“, findet Tworek, wie wir uns das immer vorgestellt haben“.

Von Michaela Schmid

Artikel vom 08.07.2010
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